Mittwoch, 30. November 2011

Mittwochs-Rezi: Otherland - Hörspiel nach dem Roman von Tad Williams

5 von 5 Eselsohren
Zum Hörspiel im Allgemeinen:
Ein Mammutprojekt des Öffentlich-Rechtlichen und in dessen typischem Stil gehalten. Das sind gleich zwei Hürden für einen Otherland-Unerfahrenen – wer sich davon aber abhalten lässt, verpasst ein phantastisches Werk.
Zur Inszenierung
Das Sounddesign ist extrem. Verwirrend und schrill. Ein wenig zu schrill - selbst für ein Cyberspaceabenteuer. Ein Tonteppich? Wohl eher ein Tonjahrmarkt. Es kreischt, quietscht, schreit, sirrt, klickt, jault... und fordert vom Zuhörer eine Menge Nerven, nur damit er überhaut Zuhörer bleibt. (Ich habe 3 Anläufe gebraucht).

Zur Erhöhung des Schwierigkeitsgrades trägt zudem auch die Erzählstruktur des Werkes bei. Einzelne Handlungsstränge schneiden sich gegenseitig das Wort ab und innerhalb der Handlungen mischt sich reales Leben und Cyberspace; im Cyberspace wiederum mischen sich virtuellen Ebenen. Hallo? Zum Glück wechseln mit den Perspektiven auch die Erzähler. Für einen unwissenden Zuhörer bedeutet das zusammengenommen, dass er neben zahlreichen Protagonisten auch die Stimmen und Stimmungen der verschiedenen Ebenen erkennen muss während er noch dabei ist, den über allem liegenden Tonteppich zu tolerieren. Ein mörderisches Unterfangen.

Respekt gebührt dem, der noch den Überblick behält. Aber dieser Tausendsassa wird belohnt: Ich ziehe den Hut vor der Regie und den Sprechern. Sie zeigen vollen Einsatz beim Schreien, Leiden, Irrsinnen, Flehen, Wüten, Wundern und Walten.
Ich werde hier nichts über die Handlung im Detail verraten, sondern mich mehr dem widmen, was den Hörspielhörer so an Hörerlebnis erwartet.
Stadt der goldenen Schatten (1/4)
Im ersten Teil werden die Protagonisten vorgestellt. Die einzelnen Welten sind noch unbekannt und laufen völlig nebeneinander her. Die Sprünge zwischen den Handlungssträngen sind daher schwer zu identifizieren und einzuordnen. Der unbedarfte Hörer fragt sich: Wer oder was ist Otherland? Welches Ziel verfolgt die Geschichte? Was treibt die Figuren an? Mit wem darf ich mich identifizieren? Dies zu entwickeln, nimmt sich das Hörspiel sehr viel Zeit. Was anstrengend und spannend zugleich ist. Von Anfang an ist klar, dass hier ein Epos ins Hirn rauscht. Und solche Epen brauchen eben Raum und Geduld. Am Ende von Teil eins ziehen sich die Maschen aber schon enger, Schlüsselelemente werden erkennbar, die Sequenzen werden länger - kurz: man kommt rein. Und wenn man endlich zu begreifen beginn, was sich hinter Otherland verbirgt und wie die Einzelschicksale zusammenhängen... ist der erste Teil vorbei und man lechzt nach dem zweiten.
Fluss aus blauem Feuer (2/4)
Während ich in Teil eins also die meiste Zeit hilflos von einem Handlungsstrang zum nächsten geschleudert wurde, begann ich in Teil zwei die Verbindungen zu sehen und dem "Warum" entgegenzufiebern. Eine gemeinsame Mission entpuppt sich als roter Faden, die Protagonisten werden zu Bekannten. Wer bis hier hin kommt, der kann sich dem Sog von Otherland nicht mehr entziehen. Die Missions-Gefährten werden tolkienhaft (mit einem ausdrücklichen Hinweis auf Elronds Rat) vom mysteriösen Strippenzieher Sellars versammelt, und alsbald wieder gehörig herumgewürfelt. Wir taumeln als Hörer durch die virtuellen Reiche von Otherland - eine Welt irrwitziger als die andere. Hut ab, Mr. Williams! Und nach und nach werden wichtige Phänomene nicht nur berichtet sondern erklärt, wir dürfen mitgehen und werden nicht mehr mitgeschleift - die Spannung steigt. Teil drei ist nun ein Muss.
Berg aus schwarzem Glas (3/4)
In diesem gewinnen die Figuren zunehmend an Tiefe und beginnen die Regeln in Otherland nicht nur zu verstehen sondern auch zu benutzen. Die Mission wird immer schärfer umrissen und je mehr man die Zusammenhänge versteht, um so mehr spitz sich alles zu. In der Welt des realen Lebens gehen die Zurückgebliebenen auf die Suche nach den Ursprüngen des Projektes Otherland, setzen sich Ermittler auf die Spur des Bösen und so gewinnt auch dieser Teil der Geschichte an Profil.
Am Ende von Teil drei steht eine Szene, die den Showdown ankündigt und ich war wirklich froh, dass noch ein ganzes Buch für den Schluss und die Auflösung übrig blieb.
Meer des Silbernen Lichts (4/4)
Nach einem fulminanten Cliffhanger am Ende von Teil drei folgt direkt zu Beginn vom letzten Teil der nicht minder spektakuläre Showdown. Und danach gehts "nur noch" ans Aufräumen. Aber statt "Bums das wars, jeder ging seiner Wege" gibt es einen würdigen Abschluss. Alle Verschwörungen werden entwirrt, alle losen Enden aufgefädelt, alle geheimen Zusammenhänge ans Licht gezerrt und zu guter letzt jeder Charakter in eine ihm bestimmte Zukunft freigelassen. Ohne ein Schielen auf noch ein Sequel, noch eine offene Frage. Ein guter Autor weiß wann Schluss ist. Der vierte Band hat genug zu erzählen, ist voller Action und Überraschungen aber er ist eben auch der fällige Schlusspunkt.
Fazit
Was unterscheidet ein Meisterwerk von einer 0-8-15-Trilogie-Fantasy-Saga?
  • genug Stoff für jeden einzelnen der Bände
  • eine einzigartige Stimme, die wirklich Neues erzählt
  • ein Autor, der weiß wann und wie er seine Figuren wieder von der Bühne holt.
Weil Williams alles mit Otherland bringt, ist es .So .Verdammt .Gut!
Die Inszenierung nimmt das Werk ernst und bietet jeder Stimme des großen Otherland-Ensembles eine enstprechende Bühne und Umsetzung. Für so einen komplexen Stoff, habe ich als Newbie rein durchs Hören im Otherland-Kosmos genug verstanden, um die Geschichte zu mögen und mit den Protagonisten mitzugehen. Dennoch habe ich nun Blut geleckt und werde mir die Bände über kurz oder lang zulegen, denn jetzt bin ich gespannt, was denn noch von der Regie verändert werden musste. So ein Epos darf einfach nicht in meinem Regal fehlen. Hut ab vor der Hörspiel-Crew. Die Umschreibung "Mamutprojekt" trifft es wohl so gerade im Ansatz.

dhv der Hörverlag, ISBN 978-3-86717-131-1

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