Samstag, 16. Februar 2013

Gestatten, Mitbewohner: Die alte Schreibmaschine

In meinem Refugium wohnt seit etwa einem Monat eine schwarzglänzende "Rheinmetall". Eine alte Kofferschreibmaschine, wie es sie zu Hauf  auf den Speichern dieser Republik gibt und wie sie hin und wieder bei ebay für kleines Geld "an Liebhaber" oder "als Ersatzteillieferant für Sammler" angeboten wird.


Als sie bei mir einzog, knabberte der Rost an den Schrauben, die Mechanik war verkantet, einige Tasten funktionieren gar nicht mehr, innen und außen war sie von einem hartnäckigen Film aus Staub und Dreck überzogen. Viel gebraucht, weit gereist und irgendwann aussortiert.

Ihre letzte Station vor meinem Bücherregal war ein staubiger Flecken ganz hinten links im Keller meiner Eltern. Zu kaputt, um schön zu sein, zu vertraut, um Müll zu sein. Ich hab sie geputzt und mit etwas Liebe und Zeit wieder zum Leben erweckt. Was ich dafür bekommen hab? Eine Geschichte natürlich.



:: Vorgestellt ::
Es ist eine KsT Kofferschreibmaschine, das Kürzel steht für "Kleinschreibmaschine mit Tabulator. Sie trägt die Seriennummer: 455971 und ist laut dieser Liste ca. 1957 gebaut. Der Hersteller ist das VEB Mechanik Büromaschinenwerk Rheinmetall Sömmerda. Die mechanische Typenhebelschreibmaschine hat ein schwarzes Hochglanzmetallgehäuse sowie einen passenden Koffer aus Holz, bespannt mit schwarzem Kunstleder.

Den Verkäufer Pfund & Greß gibt
es scheinbar bis heute in Magde-
burg. Hier der Link zum Branchenbuch.
Gütezeichen des DAMG 
S = Sonderklasse für sehr gute
Qualität. 09/2552 = Rheinmetall












:: Aufpoliert ::
Zuerst trennte ich den Koffer von der Schreibmaschine. Das mag den technisch Versierten unter euch wie ein Klacks vorkommen, aber ich musste mich erstmal auf die Mechanik von Annotuck eingrooven. Schließlich erkannte ich die simplen Stellhebel den hinteren Maschinenfüßen als Halterungen und - zack - war die Rheinmetall frei.

Der Koffer hatte durch die Zeit und den Aufenthalt im Keller etwas gelitten, doch ist er dafür gemacht worden, die Maschine vor der Außenwelt zu schützen. Die Beschläge sind etwas oxidiert und die Kanten angeschlagen. Ich hab ihn erst mit Wasser und dann mit Öl geputzt.

Ein solider Holzkoffer, mit Kunstleder
bespannt. Der überlebt jeden Keller.
Innen hat alles seinen festen Platz.



Das Schloss schnappt noch ein und lässt sich auch wieder öffnen, der Schlüssel ist aber nicht mehr da. Ein Reinigungspinsel und eine Reinigungsbürste stecken in ihren vorgesehenen Halterungen und sehen fast aus wie neu.

Die Maschine konnte eine Patina aus Schmier, Staub und Insektenkadavern aufweisen. Dank des Koffers aber nicht all zu dick. Mit Glasrein und einem weichen Tuch rückte ich ihr in einem ersten Anlauf zu Leibe.

Vorher: ein Dreckfilm und vier kaputte
Tasten (links im Bild). A - S - W - Y.
Nachher: glänzend, geölt und voll
funktionstüchtig. Ein Schmuckstück.

Abgesehen vom Schmutz war die immer wieder von mir ausgelöste Mechanik die größte Hürde beim Putzen. Immer wieder kam ich an irgendwelche Hebel, es machte "Bing!", "Ratsch!", "Krrrrk!" oder sonst was und irgend etwas bewegte sich, schnappte mir entgegen, sprang von mir weg.

Es war ein merkwürdiges Gefühl. Ich habe doch früher auf dieser Maschine geschrieben. Ich habe zwei (!) VHS-Kurse im Maschineschreiben. Und doch hatte ich die einfachsten Grundlagen vergessen - zum Verzweifeln! Zum Glück stieß ich im Web auf einen Blogger, der sehr liebevoll die Rheinmetall und andere Maschinen beschrieb. Auf Things with keys fand ich die entscheidenden Details, um mich an die Funktionen zu erinnern, die dank PC aus meinem Hirn gelöscht worden sind (Tab-Stops, Zeilenendsignal...).


Aber als der erste Dreck entfernt war, ich die Maschine in alle Richtungen gewendet und meine Finger auf alle Hebelchen und Tasten gelegt hatte, war es ein wenig wie Fahrradfahren. Das verlernt man doch auch nicht, oder? Und ich hatte einen detaillierten Überblick über den Zustand der Rheinmetall:
  • das Farbband war vertrocknet. Weg damit. In gut sortierten Schreibwarengeschäften bekommt man die alten Pelikan-Seidenbänder noch. Und sie kosten auch kein Vermögen.
  • einige Stellhebel waren verkantet. Etwas WD-40 und behutsames Schieben, Drücken, Pörkeln mit einem kleinen Schraubenzieher lösten das Problem..
  • vier Typenhebel waren lose und fielen mir entgegen. Das A, das S, das W und das Y brauchten also Hilfe. Die Zughaken der verlorenen Typen waren zum Teil abgebrochen, zum Teil lose und hatten sich im Innern der Maschine verkantet. Das würde die größte Baustelle werden.
  • alles andere war intakt. Yey!
Ich ölte also die beweglichen Teile der Mechanik, kratzte den Rost von den Schrauben und polierte noch einmal das Gehäuse.

Die Maschine von unten. Da sie einen Koffer hat,
brauchts kein Gehäuse und die Mechanik liegt frei.

:: Repariert ::
Die Typenhammer lassen sich mit einer Kombination aus Kippen, Drücken und Ziehen aus der Halterung nehmen. Anschließend lassen sich die Hämmerchen mit dem Metallhaken verbinden. Bei gedrückter Buchstabentaste kann man nun das andere Ende des Metallstücks an deren Arm einhaken. Vorsichtig, dem Mechanismus folgend, lässt sich schließlich der Typenhammer wieder in die Halterung einsetzen.

Erkenntnis: Man sollte unbedingt die richtige Taste mit der richtigen Type verbinden. Und: Wenn man vorher den Bogen abmontiert, auf dem die Hämmerchen ruhen, ist die Sache fast ein Kinderspiel. -.-



Bei den beiden noch intakten Metallhaken war das also kein Problem. Ein bisschen Gehirnschmalz habe ich auf das Problem der beiden zerbrochenen Haken verwendet. Ersatzteile gibt es natürlich nicht mal eben so, Basteldraht ist zu dünn und verbiegt zu schnell.

Nach einem Tag grübeln fielen mir zufällig Büroklammern in die Hände und es ereilte mich ein Geistesblitz. Ich schnappte mir zwei schwarze Büroklammern und mit einer spitzen Zange und einem Drahtknipser waren die kleinen Haken relativ schnell nachgebastelt.

Aus Büroklammern werden neue Haken.
Werkzeug: spitze Zange und Metallknipser 
Maßstab: Frickelig!
Mit im Bild: Die Rettung.


Ich hakte alles ein und drückte gespannt die Tasten. Nichts verbog. Zuerst schnellte der Typenhammer nur nach oben, fiel jedoch nicht zurück - doch es lag nur daran, dass der Hammerkopf ein wenig verbogen war und sich in der Anschlagführung verkantete. Ein behutsames Biegen schaffte Abhilfe. Fertig!

Vorher: Bei vier Buchstaben
fehlt die Drahtverbindung.
Nachher: Der 3. und der 5. von links
sind die nachgearbeiteten Haken.

Das Farbband habe ich eingesetzt und jetzt klappert sie wieder munter wie eh und je. Könnt ihr euch meine Freude über diese alte Schreibmaschine vorstellen? Könnt ihr gleich, denn jetzt erzähl ich euch ihre Geschichte.


:: Erzählt::
Gekauft wurde sie von meinem Vater, der in den 50ern am Norbertinum die Priesterlaufbahn für Spätberufene einschlug. Als sich nach und nach das wahre Gesicht der sowjetischen Besatzungszone abzeichnete, zog seine ganze Familie nach NRW, er aber wollte im Osten die Ausbildung beenden - schließlich galt sein Abitur nur für genau dieses Studium und die bereits absolvierten Semester sollten nicht umsonst gewesen sein.

Doch die Lage spitze sich (wie wir alle wissen) zu, man sprach von einer absoluten Grenzschließung, einer Mauer. Ein offizielles Ausreisen wäre nicht gestattet worden und so machte mein Vater Hals-über-Kopf aus einem Elternbesuch eine Ausreise für immer. Bis auf einen kleinen Wochenend-Koffer blieben seine Habe und alle Unterlagen zurück.

Doch wie sollte da ein Studium fortgesetzt werden? Waren alle Jahre umsonst? An dieser Stelle kommt die deutsche Bischofskonferenz ins Spiel. Lehrer des Norbertinums gaben die Habe meines Vaters dem Bischof von Erfurt mit, der sie auf der Konferenz unter der Hand an den Bischof von Köln weitergab. Dieser wiederum ließ sie dem Priesterseminar in Bonn zukommen. Und das Studium meines Vaters konnte weitergehen.

Bevor ihr euch nun in Spekulationen ergeht: nein, ich bin nicht das heimliche Kind eines katholischen Priesters. Mein Vater wurde schließlich Lehrer. Aber das ist eine andere Geschichte.


:: Getroffen ::
Ich selbst traf die alte Schreibmaschine natürlich in meinem Elternhaus. Mich faszinierte einfach das Klacke-di-klack! des Schreibens, das Bing! wenn die Zeile zu Ende ging und auch das ewige Verhaken der alten Typenhebel. Sie hatte eine merkwürdige Präsenz, diese Maschine. Ehrfurchtsgebietend und zugleich alltagserprobt.

Überall im Arbeitszimmer fand man ihre Schrift. Erst als unser erster PC Einzug hielt, wurde sie ihres Stammplatzes verwiesen und wanderte in ihren Koffer und in eine Ecke des Arbeitszimmers. Warum auch nicht? Sie war doch alt. Ihre Geschichte erfuhr ich viel später. Fast 20 Jahre blieb sie verräumt. Jetzt glänzt sie wieder.


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