Mittwoch, 22. Februar 2012

Mittwochs-Rezi: Gedankenhaie von Steven Hall

5 von 5 Eselsohren

Ein Wortwissenschafts-Si-Fi-Kunstbuch-Psychothriller. Gibts nicht? Deswegen sticht es auch so hervor.
Steven Hall spielt mit semantischen Fachbegriffen und linguistischen Bildern ebenso wie mit Typographie und Weißräumen oder Fantastik- und Technik-Elementen. Er vermischt Realität und Parabeln - verwirrt den Leser und den Protagonisten. Ansiedeln würde ich das Buch irgendwo zwischen Jasper Fforde, Michael Ende, Andreas Eschbach, Lewis Caroll und Hermann Melville.


"Eins nach dem anderen. Bleiben Sie ruhig. Wenn Sie das hier lesen, bin ich nicht mehr da. Nehmen Sie den Hörer und drücken Sie die Eins. Dr. Randle wird sich melden, Sie müssen sofort zu ihr fahren. Sofort. Mit Bedauern und voller Hoffnung, gezeichnet der Erste Eric Sanderson."
Eric findet diese Notiz nachdem er in einem fremden Raum aufgewacht ist und gerät natürlich in Panik. Er hat einen Fehler gemacht. Und er wird gejagt. Es geht ums nackte Überleben. Doch ist der Jäger echt oder nur ein Produkt seiner Phantasie?

Man muss sich auf die Idee hinter den Gedankenhaien einlassen und auf die merkwürdig zerrissene Figur des Eric Sanderson, der von ihnen gejagt wird und der in Sprachbildern und semantischen Konzepten denkt. Der Ansatz hinter der Geschichte ist mehr als abstrakt und spielt so geschickt mit Urängsten und Psychologie, dass das Lesen einem Seelenstriptease hinter einer Spiegelglasscheibe gleicht. Aber es lohnt sich.

Wer die Verwirrung und den eingeschränkten Blickwinkel des Eric Sanderson akzeptiert, wird in ein sprach- und gedankengewaltiges Buch katapultiert. Die Handlung und die Ideen verfolgen mich bis heute und ich möchte nie missen, dieses Buch gelesen zu haben. Für mich haben das bisher nur wenige Bücher geschafft. Das letzte Einhorn. Schiffbruch mit Tiger. Der Wolkenatlas. Aber die Gedankenhaie sind noch anders - viel abgedrehter, sprachverliebter, abstrakter und packender.

Wirklich jede Seite schafft es, zu überraschen. Hall nimmt uns mit auf eine Odyssee zum Ursprung aller Dinge, auf eine lebensgefährliche Jagd nach Monstern aus den Anfängen der Menschheit. Und auf die Suche nach sich selbst. Dazu bietet das Buch auch dadaistische Sprachkunst, Wortbilder, typographische Comics. Kurzum: Sprachkunst in jedem Sinn.

Nichts für "Wegleser" - wer aber auf der Jagd nach dem Außergewöhnlichen der Buchmacher ist, der sollte Gedankenhaie kennen.

Erschienen bei Piper im Taschenbuch
432 Seiten
ISBN 978-3-492-25204-1

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